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Das Interview

Aufgabenübertragung nach Art. 54 IVG

Erkenntnisse aus dem Luzerner Projekt Optima

Im Februar 2025 erhielt der Kanton Luzern vom Bundesrat für Optima die Erlaubnis, Aufgaben nach Artikel 54 IVG zu übertragen. Dadurch kann die Zusammenarbeit zwischen der ALV, IV und Sozialhilfe in bestimmten Fällen bedarfsgerechter erfolgen. Das heisst: Eine Institution übergibt vorübergehend die Fallführung an eine andere Institution und beauftragt diese, Leistungen zu erbringen. Die Gesamtverantwortung bleibt bei der auftraggebenden Institution. 

Im Interview mit Sabina Schmidlin und Carmen Schenk erzählen Marcel Gisler und Benno Muff von ihren Erfahrungen mit Optima und dem Genehmigungsprozess.

Warum ist die Übertragung der Aufgaben nach Artikel 54 IVG wichtig für Optima und weshalb wolltet ihr die Erlaubnis des Bundesrates dafür?  

Benno Muff (B. M.): Wir brauchten die Erlaubnis des Bundesrats, weil das eine Voraussetzung für die gegenseitige Aufgabenübertragung ist. Optima ermöglicht der Sozialhilfe, der IV und dem RAV, sich gegenseitig und für eine begrenzte Zeit Aufträge zu übertragen. Nach dem Pilotbetrieb brauchte Optima eine neue Bewilligung für den regulären Betrieb.

Wie war der Genehmigungsprozess und was habt ihr während dieser Zeit erlebt?

B. M.: Es hat mich etwas überrascht, dass für den Übergang von Optima in den Regelbetrieb eine neue Bewilligung nötig war. Ich habe den Antragsprozess für diese neue Bewilligung komplizierter und formeller wahrgenommen als beim Pilotprojekt. Wir mussten verschiedene Aspekte thematisieren und den Bezug zum jeweiligen Gesetzesartikel aufzeigen. Dabei halfen uns die Erfahrungen unserer Kollegen und Kolleginnen aus dem Kanton Aargau. Sie hatten einen ähnlichen Prozess bereits für die Kooperation Arbeitsmarkt durchlaufen. So profitierten wir von ihrem Wissen.

Marcel Gisler (M. G.): Es gab viele rechtliche Fragen, zum Beispiel zum Datenschutz. Deshalb unterstützte uns unsere Rechtsabteilung. Auch das BSV und seine Juristen halfen uns sehr. Schliesslich benötigte es auch noch eine Stellungnahme vom SECO. Insgesamt dauerte es zwei Jahre, bis wir die Bewilligung für die Aufgabenübertragung nach Artikel 54 IVG erhielten.

Musstet ihr im Antrag auch Prozesse definieren?

B. M.: Wir mussten die oben genannten Aspekte darlegen. Ebenso viele rechtliche Aspekte. Verschiedene Konzepte und Projektdokumente konnten wir aus der Pilotphase nutzen und darauf verweisen. Neben dem Antragsdokument benötigte es auch eine formelle Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen den beteiligten Institutionen.

Was bedeutet die Bewilligung für die operative Ebene? Welche organisatorischen, strukturellen oder anderen Anpassungen musstet ihr bei der Umsetzung der Aufgabenübertragung vornehmen?

M. G.: Es brauchte keine strukturellen Anpassungen. Wir nutzen die bestehenden Strukturen. Die ursprüngliche Absicht war, dass Optima selbstständig funktioniert. So hatten wir das Pilotprojekt auch organisiert. Die IIZ übernahm dabei nur die Triage der Aufträge an die zuständigen Institutionen, um Auftraggeber und Auftragnehmer zusammenzubringen. Danach sollten die Institutionen selbstständig agieren. Dafür nutzten wir die Plattform CaseNet.

Und was hat nicht funktioniert?

M. G.: Technisch wäre dieses Vorgehen sehr gut umsetzbar gewesen. Der Umgang mit der Plattform CaseNet war für die Fachpersonen in den Institutionen jedoch schwierig. Das liegt daran, dass Optima keine grossen Fallzahlen hat. Bis eine Fachperson den nächsten Optima-Fall hat, weiss sie nicht mehr, wie das Tool funktioniert. Das machte das Ganze schwerfällig.

Wie habt ihr das gelöst?

M. G.: Wir führen die Fälle heute in einer internen Datenbank und pflegen diese selbst. Die Auftraggeber und Auftragnehmer kommunizieren per E-Mail und Telefon miteinander. Das macht die Zusammenarbeit für die Fachpersonen unkompliziert.

Wo musstet ihr sonst noch anpassen?

B.M.: Seit Optima zur Regelstruktur gehört, müssen wir als IV-Stelle unsere Leistungen der Sozialhilfe oder dem RAV in Rechnung stellen. Das ist notwendig, weil unsere Ressourcen zweckgebunden sind und Sonderleistungen vergütet werden müssen. Die IV verrechnet deshalb pro Optima-Fall 300 Franken pro Monat.

M. G.: Das betrifft vor allem die Sozialhilfe. Das bedeutet: Die Sozialhilfe kauft mit den 300 Franken bei der IV ein Job Coaching ein. Dafür begleiten die Eingliederungsberatenden der IV die Person im Rahmen von Optima auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Für die Sozialhilfe ist das ein attraktives Angebot.

Welche Sozialhilfebeziehenden betrifft das konkret?

B. M.: Das betrifft Menschen mit gesundheitlichen Problemen, die aber nicht IV-relevant sind. Die Betroffenen müssen ernsthaft an einer Rückkehr in den Arbeitsmarkt interessiert sein. Sie sollen vermittlungsfähig sein und Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit etc. mitbringen. Da dies nur wenige Personen betrifft, ist Optima ein Nischenangebot.

Das überrascht. Die Fallzahlen sollten doch steigen, da ihr jetzt die Erlaubnis zur Aufgabenübertragung nach Artikel 54 IVG habt. Warum ist das nicht der Fall?

M. G.: Wir verstehen auch nicht, warum die Sozialhilfe das Angebot nicht öfter nutzt. Optima ist eigentlich eine günstige Massnahme, besonders für arbeitsmarktfähige Sozialhilfebeziehende. Wir haben uns auch schon gefragt, ob die Sozialdienste Optima nicht gut genug kennen, obwohl wir genügend kommunizieren.

B. M.: Vielleicht haben die Sozialdienste Vorurteile gegenüber der IV oder sie haben schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb ist es für sie nicht immer naheliegend, sich an die IV zu wenden und mit der Begleitung ihrer Klientinnen und Klienten zu beauftragen.

Das ist interessant. Eigentlich könnte die Sozialhilfe von Optima profitieren?

M. G.: Gleiches stellen wir bei den RAV fest: Die Personalberatenden der RAV sind oft sehr gefordert, wenn Menschen aus der Sozialhilfe zu ihnen kommen, die gesundheitliche Probleme haben. Deshalb hat die Arbeitslosenversicherung Luzern zwei RAV-Beratende mit spezifischen Kenntnissen bestimmt. Sie kümmern sich um Personen aus der Sozialhilfe, egal aus welcher Region sie kommen. Das funktioniert gut. Dieses Angebot kostet die Sozialdienste nichts. Trotzdem übertragen sie nur wenige Fälle an die RAV.

Ist es nicht doch so, dass das Angebot bei der Sozialhilfe aufgrund der hohen Fluktuationsraten zu wenig bekannt ist?

B. M.: Ja, das ist sicher auch ein Grund. Zu Beginn von Optima überlegten wir, wie wir die Sozialdienste am besten informieren. Da war es bei der Sozialhilfe tatsächlich schwierig, Ansprechpersonen für das Anliegen zu finden. Gerade in kleinen Gemeinden, wo professionelle Sozialdienste fehlen, war die Kommunikation herausfordernd.

Könnt ihr noch ein bisschen ausführen, wie die Aufgabenübertag die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen erleichtert?

M. G.: In der täglichen Arbeit hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen nicht verändert. Gut ist, dass sich die Mitarbeitenden jetzt untereinander besser kennen. Sie sprechen über die einzelnen Fälle und lernen voneinander. Der grösste Nutzen entsteht aber für die Klientinnen und Klienten. Optima ist ein klientenorientiertes Angebot. Es geht nicht darum, welche Institution rechtlich zuständig ist. Entscheidend ist, welche Institution die Person in der aktuellen Situation besser unterstützen kann.

Gibt es spezielle Herausforderungen?

B. M.: Wir stellen fest, dass vor allem die sehr komplexen Fälle bei Optima gemeldet werden. Das heisst Fälle, bei denen in der beruflichen Eingliederung schon vieles ausprobiert wurde. Solche Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist dann auch für Optima schwierig. Ja, teilweise auch chancenlos.

M. G.: Was uns sehr wichtig ist: Optima ist kein Bestrafungsinstrument für Menschen, die unmotiviert sind. Wir setzen voraus, dass die Personen motiviert sind und mitarbeiten. Der Zeitpunkt der Anmeldung bei Optima ist dabei ein entscheidender Faktor. Das Programm funktioniert am besten, wenn die Personen frühzeitig bei Optima angemeldet werden. Sie sollten nicht erst den Weg über die Arbeitslosenversicherung und das Sozialamt gehen und erst dann zu Optima kommen. Das wirft die Frage auf: Warum erfolgte die Anmeldung nicht schon früher? Dann wären auch die Chancen auf eine passende Arbeit besser.

Welche Erkenntnisse möchtet ihr anderen Kantonen weitergeben?

M. G.: Wir wissen heute noch nicht, wie die Erfahrungen aus der Pilotphase oder andere Projekte im Kanton Luzern Optima in Zukunft verändern werden. Im Moment bieten wir Optima weiter an. Die Idee dahinter überzeugt uns, denn das Angebot ist pragmatisch, klientenorientiert und institutionsübergreifend – das ist gelebte IIZ!

 

Optima kurz erklärt

Optima ist ein Angebot des Kantons Luzern. Es verbessert die Zusammenarbeit zwischen der Arbeitslosenversicherung (ALV), der Invalidenversicherung (IV) und der Sozialhilfe. Ziel ist es, die berufliche Integration zu fördern. Versicherte Personen sowie Sozialhilfebeziehenden sollen von der jeweils kompetentesten Stelle beraten und betreut werden. Zwischen 2018 und 2022 fand die Pilotphase statt. Danach wurde Optima in die Regelstrukturen integriert. Optima finanziert die Kosten ihrer erbrachten Leistungen im gesetzlichen Rahmen der beteiligten Systeme. Für Personen ohne Leistungsanspruch gelten besondere Regeln.

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